Farbwerte. Wenn Zitronengelb und Mintgrün Wirtschaftsfaktoren sind.
Es war ein Mittwochmorgen in einem funktionalen Besprechungsraum, irgendwo zwischen Akustikpaneelen und Beamer. Die Präsentation lief, die Folien waren korrekt. Alles war da – Zahlen, Ziele, sogar die Vision. Und trotzdem blieb da dieses Gefühl: irgendetwas stimmt nicht. Nicht falsch – aber nicht stimmig.
Bis einer aus dem Team, halb im Scherz, sagte: „Wir reden von Zukunft, Innovation und Leichtigkeit – und zeigen alles in diesem bleischweren Marineblau.“ Stille. Dann ein Lächeln. Dann ein Gespräch, das zum Wendepunkt führte.
Was die Veränderung brachte, war kein neues Logo, keine schrille Farbe, keine radikale Re-Branding-Kur. Es war die Erkenntnis:
Farbe ist Identität. Und Identität ist keine Stilfrage. Sondern eine Frage der Stimmigkeit.
Und so suche ich nicht auf dem Farbfächer, welche Farbe vielleicht schön wäre oder ganz nett und “mal was Neues”. Nein, ich betrete einen Raum und nehme wahr, was schon da ist. Ich betrete ein Unternehmen und spüre sein Wesen. Ich erlebe Teams und kann die Farben identifizieren – manchmal sofort und unmittelbar, manchmal nachdem sich alles etwas gesetzt hat. Und dann leite ich her, erkläre und lotse durch eine für mich so offensichtliche Welt. Sie endet immer damit, dass Farben nicht gefallen müssen, denn wenn Stimmigkeit erzeugt wird, tun sie das von ganz allein. Es geht darum mit gesundem Stolz dem eigenen Eigensinn ein ästhetisches Auftreten zu erlauben. Und da kommt es manchmal zu eigenwilligen Farbkombinationen, die überraschen und doch so selbstverständlich wie nur möglich sind.
Mintgrün ist nicht nett.
Mintgrün ist Struktur. Kühle Klarheit. Wissenschaftlichkeit ohne Gefühlskälte. Projektmanagement mit Naturwissenschafts-DNA. Mintgrün ist die stille Autorität derer, die nicht laut sein müssen, um Dinge voranzubringen. Wer Mint trägt, will verstanden werden, nicht gefallen.
Zitronengelb? Keine Frage.
Frisch. Schnell. Taktvoll. Zitronengelb ist Aufmerksamkeit mit Understatement. Ein gelber Akzent auf einem weißen Grund ruft nicht „Schau her!“, sondern fragt: „Bist du wach genug, mich zu sehen?“ Es ist ein Gelb, das Tempo macht, ohne zu hetzen. Ein Ton für Marken, die führen, ohne zu dominieren. Für Ideen, die nicht warten können – und auch nicht wollen.
Farbe ist nicht Geschmack.
Farbe ist Haltung. Identität. Richtung. Sie wächst aus dem Inneren eines Unternehmens heraus – aus dem, was es kann, was es will, was es verspricht. Und so wirkt ein Zitronengelb bei dem einen Unternehmen anders, als bei einem Solopreuneur. Tiefes schweres Blau wirkt bei einer Kanzlei vollkommen anders als im Maschinenbau.
Ein Unternehmen, das exzellent darin ist, Komplexität verständlich zu machen, braucht eine andere Farbtextur als eines, das auf Intuition setzt. Das eine arbeitet mit Glanz, das andere mit matter Oberfläche. Da zählt Deckkraft. Oder eben gerade nicht. Ein transparentes Unternehmen kann nicht in deckendem Blau kommunizieren. Ein Start-up aus der Region darf ruhig Eichenholz und Eisen mitdenken, wenn es an seine visuelle Sprache geht. Herkunft, Struktur, Materialität – all das ist multisensorisch lesbar.
Synästhetisch betrachtet tragen Persönlichkeiten ihre Farbkompositionen längst in sich. Was für Menschen gilt, gilt auch für Organisationen: Die Farbe ist schon da. Sie muss nur freigelegt werden.
Farbe ist ästhetische Verdichtung. Und Ästhetik ist niemals bloß Oberfläche – sie ist der sichtbar gewordene Identität. Sie zeigt, wer man ist, noch bevor ein Wort gesprochen wurde. Sie ist Haltung. Herkunft. Intuition.
Dabei geht es nicht nur um Farbtöne – sondern auch um Texturen, Glanzgrade, Transparenzen. Ein Unternehmen, das offen kommuniziert, arbeitet visuell anders als eines, das Tiefe und Diskretion lebt. Es geht um Matt oder Glanz, um Licht oder Dichte, um Rauheit oder Feinheit. Um Materialien, Schraffuren, Symbolik.
Und es geht – ganz wesentlich – um das, was schon da ist. Denn jedes Unternehmen trägt seine Farbwelt bereits in sich. Genauso wie Persönlichkeiten. Man muss sie nur sichtbar machen.
Die Farbe ist nicht das Ziel – sie ist die Konsequenz
Der Weg zu ihr beginnt nicht mit einem Farbkreis, sondern mit einem tiefen Blick ins Innere.
Wer sind wir? Was können wir? Wofür wollen wir stehen?
Wenn die Antworten klar sind, ist die Farbpalette keine Entscheidung mehr – sondern ein Echo.
Dann wird Zitronengelb zur Konsequenz von Tempo und Präsenz. Mintgrün zur Konsequenz von Struktur und Verantwortung.
Dann ist Ästhetik nicht Dekoration, sondern Ausdruck.
Nicht nach außen gestülpte Form, sondern aus dem Innersten gewachsene Stimmigkeit.
Nicht beliebig, sondern unausweichlich.
Und genau darum geht es.