Synästhesie. Oder wie Wahrnehmung eine Superkraft sein kann.

 

Über ein unterschätztes neurodiverses Phänomen und seine Relevanz für Unternehmen, Gestaltung und Innovationskraft.

 

Zwischen Markenimpulsen und Anregungen zu nachhaltiger Unternehmensführung lenken wir den Blick auf mich und meine Wahrnehmung. Sie ist es nämlich, die dazu geführt hat, dass Ästhetik eine wesentliche Rolle in meinem Berufsleben spielt. Ich bin Synästhetikerin. Das klingt nach einer schrägen Glaubensrichtung oder nach einer besonderen Krankheit, ist es aber nicht.

Wahrnehmung jenseits der Norm

Menschen, die synästhetisch wahrnehmen, verknüpfen mehrere Sinne beim Verarbeiten von Informationen. Sie schmecken Töne, hören Farben oder fühlen Geschmäcker. Etwa vier Prozent der Menschen verfügen über dieses Persönlichkeitsmerkmal und die Forschung interessiert sich am “farbigen Hören” bereits seit der Antike, beginnt jedoch erst so richtig im Jahr 1866 durch den Neurophysiologen Alfred Vulpian, der den Begriff erstmalig benutzt.

Man kann mittlerweile diagnostisch aufzeigen, welche Hirnarenale aktiviert werden und geht von einer Vererbung als Ursache aus, aber viel mehr weiß die Forschung leider noch nicht.

Räume, die wirken: Wenn Gestaltung auf multisensorischem Erleben basiert, entsteht eine starke emotionale Bindung.
 
Raumgestaltung mit sensorischer Kohärenz – architektonische Anwendung ästhetischer Prinzipien Ganzheitliche Gestaltung: Wie synästhetische Wahrnehmung Räume strukturieren kann

Neurologische Vielfalt als Wirtschaftsfaktor

Die Wirtschaft diskutiert seit Jahren das Thema Diversität. Meist jedoch im Rahmen von Geschlecht, Herkunft oder Alter. Kaum Beachtung findet bisher neuronale Diversität – obwohl sie für Innovationsfähigkeit zentral ist. Menschen mit synästhetischer Wahrnehmung weisen laut Forschungsarbeiten eine überdurchschnittlich hohe Aktivierung von Assoziationszentren im Gehirn auf. Das wirkt sich nicht nur auf Kreativität, sondern auch auf Gedächtnisleistung, Detailwahrnehmung und kognitive Flexibilität aus.

Unternehmen, die ihre Strukturen für solche Kompetenzen öffnen, gewinnen eine Perspektive hinzu, die über rein analytische Prozesse hinausgeht: multisensorische Bewertung, ästhetische Kohärenz und strategische Intuition.

Design als Synapsenarbeit

Besonders im Bereich Markenführung, Design und Kommunikation lassen sich die Vorteile synästhetischer Wahrnehmung konkret einsetzen. Hier geht es längst nicht mehr um visuelle Schönheit allein, sondern um stimmige multisensorische Erlebnisse, die Nutzerbindung erzeugen. Wer Farben nicht nur sieht, sondern auch "spürt", erkennt subtile Brüche in der Markenidentität frühzeitig – und kann sie systematisch korrigieren.

Die Entwicklung ganzheitlicher Markenräume, sei es im digitalen Interface oder im stationären Retail-Design, profitiert von einem vernetzten Wahrnehmungsvermögen. Hier entstehen nicht nur schöne, sondern kohärente Systeme, die sich langfristig im Gedächtnis verankern.

 
 
Synästhesie visuell erklärt – wie Farben, Töne und Formen verschmelzen

Fakt ist, Synästhetiker:innen kombinieren unwillkürlich zwei oder drei Sinne miteinander. Bei mir liegt der Fokus auf Farben und Raum. Meine Zahlen und Buchstaben haben jeweils feste Farbtöne und Wochen. Monate und das gesamte Jahr ordnen sich vor meinem geistigen Auge räumlich in bestimmten Formen an.
Spooky? Nein, im Gegenteil. Ich mache damit nichts direkt, aber ich musste lernen, dass nicht jeder Mensch so intensiv wahrnimmt. Vielmehr steckt in dieser Art der Sinnesverschmelzung eine intensivere Aufnahme der Umgebung und feinfühligere Entscheidungen sind möglich.

Der Nachteil steckt in der Reizüberflutung, die ich gezielt regulieren muss. Die Vorteile überwiegen jedoch und sind fantastisch!

Die deutsche Synästhesie Gesellschaft schreibt Synästhetikern

  • erhöhte Kreativität

  • erhöhte Merkfähigkeit

  • bessere Vorstellungskraft/Bilderdenken

  • bessere Detailwahrnehmung

  • verstärkte Sensibilität für Sinneswahrnehmungen

  • erhöhte emotionale Empathie

zu und beschäftigt sich mit dem wissenschaftlichen Hintergründen. Quelle: https://synaesthesie.org/de

Synästhesie visualisiert: Farben, Formen und Rhythmen überlagern sich zu einer kohärenten Gesamtwahrnehmung.
 

Transportiere ich jetzt meine gelbe Zwei oder mein hellblaues D auf Kunden und Markendesigns? Nein, so eindimensional ist es nicht. Ganz im Gegenteil, ich habe ein feines Gespür wie Wörter, Formen, Farben und Räume zusammenstehen müssen, damit sie wirken. Ich springe zwischen Raumausstattung, Corporate Design und wiederkehrenden Mustern in Arbeitsprozessen bis hin zu Kleidungs-Stil-Beratung – immer aus der Marke oder der Persönlichkeit des Unternehmens oder der Person heraus. Denn ich nehme die Zusammenhänge stärker wahr. Sehe sofort, wenn etwas nicht harmonisiert oder die Botschaft hinkt und glaube daher daran, dass alles gestaltet werden kann, damit es nachhaltig wirkt.

Update: Im Jahr 2023 habe ich an einer Test-Reihe der Universität Bern, Institut für Psychologie, Abteilung Kognitive Psychologie, Wahrnehmung und Methodenlehre, teilgenommen, die sich unter anderem mit Synästhesie beschäftigt und die Ursachen und Ausprägungen erforscht. Dem Ergebnis nach bin ich Synästhetikerin – für alle, die es wissenschaftlich bewiesen haben wollen.

 
Wer Farben fühlt, erkennt früh, was visuell nicht funktioniert – synästhetisches Feingefühl im Designprozess
 
Synästhesie sichtbar gemacht: Wenn Sinneseindrücke miteinander verschmelzen, entsteht eine neue visuelle Sprache
Claudia Schuberth nutzt synthetische Wahrnehmung zur ganzheitlichen Beratung von Unternehmen

Kognition in Zeiten von KI

Während künstliche Intelligenz dabei ist, analytische Tätigkeiten zu übernehmen, wächst der Wert menschlicher Fähigkeiten jenseits des Linear-Logischen. Die Fähigkeit, interdisziplinär zu denken, Emotionen als Regulativ zu nutzen und querverbindende Muster zu erkennen, wird zum zentralen Differenzierungsmerkmal.

Synästhesie ist dabei nicht nur ein Talent – sie ist ein Hinweis auf ein kognitives Betriebssystem, das organische Vernetzung als Grundprinzip lebt. In einer Zeit, in der Wirtschaft mehr denn je auf die Kombination von Intuition und Strategie angewiesen ist, wird dieser „Störfaktor im Normbereich“ zu einem strukturellen Vorteil.

Wahrnehmung als strategisches Kapital

Synästhesie ist kein esoterisches Randphänomen, sondern ein neurokognitiver Möglichkeitsraum. Für Unternehmen, die Gestaltung ernst nehmen – nicht nur als Design, sondern als strategisches Denken – bietet sie wertvolle Impulse. Gefragt sind nicht mehr nur Fachkräfte, sondern Sinnesträger*innen: Menschen, die in Systemen spüren, was andere erst im Nachhinein analysieren.

Für eine gute, gesunde Zukunft wird differenzierte Wahrnehmung zur wirtschaftlichen Ressource. Es wäre fahrlässig, sie nicht zu nutzen. Ist sie doch Naturgegeben.

Claudia Schuberth Raumgestaltung mit sensorischer Kohärenz – architektonische Anwendung synästhetischer Prinzipien

Vor ein paar Jahren habe ich Geschäftspartner in Spanien besucht und deren Unternehmen besichtigen können. Einer der Inhaber sagte nach der ersten Stunde “ok, sie sieht wirklich alles.” Und genau das ist es. Ich nehme unmittelbar Details und Zusammenhänge wahr und kann wiederkehrende Muster, Parallelen und doch auch neue Kombinationen sichtbarmachen.

Das ist meine Superkraft. Sie kann als Vermittlung eingesetzt werden, als Ideengebung und strategische Impulse für nachhaltiges Markenmanagement liefern. Sie hilft zu reflektieren und zu einer eigensinnigeren Formensprache zu kommen. Sie ist wunderbar.

Zurück
Zurück

egal. Oder auch ein anderes Wort für “Gift”

Weiter
Weiter

Feingefühl. Oder auch: Führungskräfte sollten 1x im Leben töpfern.