Feingefühl. Oder auch: Führungskräfte sollten 1x im Leben töpfern.

Töpfern? Wer daran denkt, hat vermutlich seltsame Bilder im Kopf. Entweder schräge Erinnerungen an den Schulunterricht. Graue Matschepampe musste irgendwie in Form gebracht werden und am Ende sollte es auch noch schön sein. “Unikat” haben sie gesagt und es als kindliche Entfaltung wertgeschätzt. Oder anders? Reifere Menschen, die sich übers Töpfern neu finden wollen und das Unperfekte zelebrieren. Dieses Kopfbild löst auch nicht unbedingt ein stilvolles “Habenwollen” aus. Warum also plädiere ich dafür? Und warum sollte gerade bei den Herausforderungen der Zukunft Töpfern als Werkzeug betrachtet werden? Weil die Parallelen zwischen Mitarbeiter:innen-Führung und Ton formen fantastisch sind und wir beim Töpfern in kleinen feinen Schritten Impulse setzen und damit etwas verändern.

Bleibt es bei dem Matschklumpen in grau? Ja, aber nicht per sé. Vielmehr geht es um die drehende Scheibe. Der Fokus liegt also in der Verbindung aus Geschwindigkeit, gezielten Handgriffen – nun ja und dem grauen Etwas, was mal eine Form ergeben soll.

Was heißt das nun?

Töpfern sensibilisiert und motiviert. Wie? Ein Kurs in fünf Akten

  1. Koordination trifft auf Balance

  2. Druck trifft auf Feingefühl

  3. Hochmut trifft auf Expertentum

  4. Geschwindigkeit trifft auf Stabilität

  5. Eintönigkeit trifft auf Transformation

Koordination trifft auf Balance

Wer auf E-Mobility setzt, ist bereits Experte an der Drehscheibe, denn sie wird ähnlich betätigt wie das Fahren eines Autos mit Stromantrieb. Genau wie im Auto steuert man die Geschwindigkeit mit dem Fuß – während man auf der Scheibe aktiv an seiner Form arbeitet. Ruckelt man zu stark, wird das ganze Konstrukt ein Ungetüm, das außer Kontrolle gerät und nicht mehr steuerbar ist. Man lernt recht schnell das richtige Powerlevel zu finden.
Die selbstähnliche Parallele zum Business: Die maximale Geschwindigkeit hilft nicht immer und die Koordination und das Wissen, wann es welchen Drive braucht, funktioniert nur, wenn man die Handgriffe im Kopf balancieren kann. Sowohl die To dos, als auch die Anspannung und Entspannung. Projektphasen können, ja dürfen nicht alle gleich schnell sein. Manchmal muss es langsamer gehen – und manchmal so schnell wie nur irgendwie machbar. Multitasking denken jetzt einige. Nein, denn es geht um Handgriffe, die ineinanderwirken. Es geht also eher darum Neues zu lernen und es zu koordinieren. Wer einmal den Dreh raus hat, konzentriert sich automatisch.

Druckt trifft auf Feingefühl

Der große Unterschied zum einfachen Töpfern, also “Hand + Ton” liegt in der Passivität des Klumpens. An ihm kann man drücken und quetschen und er formt sich – mal grob, mal weniger grob. Die Arbeit auf der sich drehenden Scheibe ist anders. Plötzlich sitzt man einem sich eigenständig bewegendem Etwas gegenüber und soll es in Form bringen. Drückt man einfach nur, fängt es an instabil zu werden und wird zu einem unkontrollierbarem Ungetüm, was man nicht mehr so leicht stabilisieren kann. Aber ohne Druck bleibt der Klumpen ein Klumpen. Fantastisch, denn dieser Fakt zeigt, dass es auf das Feingefühl und die richtigen Punkte ankommt, die man formen möchte.
Die selbstähnliche Parallele zum Business: Druck erzeugt immer eine Reaktion. Das sollten alle Führungskräfte wissen und verinnerlichen. Es kommt darauf an, wo man, wie stark und mit welchen Methoden man Druck ausübt. Selbst feine Nuancierungen wirken. Personalverantwortliche sollten also mit Sorgfalt und Geduld langsam beginnen zu formen, als aktionistisch irgendwo reinzudrücken.

Hochmut trifft auf Expertentum

“Das kann ja nicht so schwer sein”. Das dachte mein Unterbewusstsein auch. Denn – auch wenn die Inhaberin des Studios jahrelange Expertise hatte, bereits über lange Zeit mit Ton gearbeitet hat und Menschen befähigt hat – so habe ich dennoch den Anspruch verspürt am Ende des Kurses ebenso gute Ergebnisse wie sie zu erzielen. Wie vermessen.

Die selbstähnliche Parallele zum Business: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und auch keine Meisterin. Exzellenz braucht nunmal Expertise und Erfahrung. In den sozialen Netzwerken wird suggeriert, dass jeder und jede alles werden kann und es gar nicht so schwer ist. Ist es aber. Und das ist gut so. Es soll nicht dazu führen, dass wir Anfänger:innen klein halten oder despektierlich behandeln. Nein, aber Expertise braucht Zeit und Expertentum kann man nicht kaufen oder sich einreden. Wir sollten den Beginner:innen lieber die Sehnsucht vermitteln, diese Erfahrungen machen zu wollen, als ihnen das Gefühl zu geben, Abkürzen ist eine Option. Ja, lebenslanges Lernen ist essentiell. Ja, jede einzelne Phase dabei hat ihren Wert. Und sicherer werden ein wunderbares Gefühl.

Geschwindigkeit trifft auf Stabilität

Das wichtigste Element, dass ich gelernt habe: Beim Töpfern kommt es auf die innere Stabilität an. Nicht meine Hände sorgen für die Formgebung, sondern meine Ellenbogen. Sie steuern die Richtung. Die Festigkeit in meinem Körper sorgt dafür, ob der Klumpen wild durch die Luft wackelt oder ob ein fester Körper für eine Schale entsteht. Meine Nase sollte direkt über der sich drehenden Mitte sein, nicht irgendwo anders. Denn dann sorgt das Lot von meinem Kopf zur Scheibe für das Zentrieren des Objektes. Fokussieren in Reinform.

Die selbstähnliche Parallele zum Business: Muss ich nicht erläutern, oder? Stabilität entsteht nie am ausführenden Ende, sondern im Zentrum und nur, wenn man fokussiert ist. Management und Geschäftsleitung sind dafür verantwortlich. Sonst niemand. Und wenn die wackelt, fliegt einem der graue Matscheklumpen um die Ohren!

Eintönigkeit trifft auf Transformation

Was am Anfang ein grauer, feuchter Klumpen war, ist über viele Veränderungen am Ende ein funktionales Designerstück. Nach dem Formen kommt das Trocknen, dann das erste Einbrennen, dann die Lasur, dann das zweite Einbrennen und dann das Aushärten. Der Prozess der Veränderung braucht also ganz schön viel Zeit.

Die selbstähnliche Parallele zum Business: Von jetzt auf gleich, geht gar nichts. Und das ist gut. Dinge müssen wirken bevor sie sich wandeln. Wenn Marken transformiert werden, dann braucht es Feingefühl, Impulse, die richtige Geschwindigkeit und Geduld. Nicht permanenten Druck oder aktionistische Kniffe. Es braucht Fokus, überlegte Handgriffe und Zeit. Und am Ende entsteht - dank unserer fantastischen Schöpferkraft – eine Form, die stabil ist, ihre Aufgabe erfüllt und ästhetisch ist. Und auf die man wahrlich stolz sein kann.

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Synästhesie. Oder wie Wahrnehmung eine Superkraft sein kann.

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Handwerk. Oder auch “Jeder kann zeichnen”.