Nuancen. Warum Farbe mehr ist als Gestaltung.
Von feinen Tönen, starken Haltungen und der Frage: Welches Rot bist du wirklich?
Farbe spricht. Und sie sagt mehr, als wir ahnen. Am Anfang einer Anfrage oder einer Aufgabenstellung steht oft der Wunsch nach einer klaren Linie, einem stimmigen Auftritt, einer Farbe, die passt. Doch wer sich mit der eigenen Identität ernsthaft auseinandersetzt – sei es als Mensch oder als Unternehmen – wird bald merken: Farbe ist kein Werkzeug. Farbe ist ein Gegenüber. Sie ist keine Hülle, die wir wählen. Sie ist Gesprächspartnerin. Sie zeigt uns Facetten, die wir selbst vielleicht noch nicht kannten. Farbe fordert uns heraus, gibt Widerworte, spiegelt, hinterfragt und zeigt offensichtlich was wir senden – ehrlich, direkt, unbestechlich. Aber auch wohlwollend, einladend und sinnlich.
Die Hingabe an das Eigene
Wer bin ich? Wer sind wir? Wie wirken wir – wirklich?
Diese Fragen sind der Anfang jeder Identitätsarbeit. Die Farben, die darauf antworten, tun das in Nuancen. Sie sind keine Schablone, keine Farbfächer-Nummer, die man einfach auswählt und fertig.
Rot, zum Beispiel. Rot ist nicht gleich Rot. Es gibt das laute, glänzende Rot eines Lacklederschuhs, das auf alles aufmerksam machen will. Das Rot der Warnschilder, das keine Wahl lässt, als zu reagieren.Es gibt das warme, erdige Rot eines Ziegels, das von Beständigkeit erzählt. Das durchscheinende, fast scheue Rot eines Aquarelltropfens auf Papier, das sich kaum greifen lässt. Das matte, fast staubige Rot eines alten Samtvorhangs, das Erinnerungen weckt, bevor wir wissen, an was. Das kühle, sachliche Rot eines Industrielacks, das Distanz wahrt und immer die Contenance hält.
Jede Nuance trägt ein anderes Wesen in sich. Jede Farbkomposition schafft einen anderen Raum, eine andere Stimmung, eine andere Wirkung.
Material und Farbe: Eine untrennbare Verbindung
Rot auf Leder ist ein anderes Rot als Rot auf Glas.
Rot in Form eines Steins ist anders als Rot auf Papier.
Rot in einem gewebten Stoff hat eine andere Tiefe als Rot in Kunststoff gegossen.
Das Material, das die Farbe trägt, spricht mit. Es formt, dämpft, verstärkt, verleiht Eigenleben. Wer seine Identität sichtbar machen will, muss den Farben zuhören. Und den Materialien.
Die Kunst der Übersetzung
Unternehmer:innen, die aus ihrer eigenen Wahrheit heraus handeln, versuche ich immer zu erklären: Ästhetik und damit auch die Wahl der Farben ist Entscheidung und Hingabe zugleich. Es braucht ein feines Hinhören: Welche Farbwelt übersetzt meine Haltung? Welche Materialien tragen diese Farbe so, dass sie echt bleibt? Welche Nuancen dürfen bleiben, welche sind zu viel? Es ist wie bei einer guten Komposition: Nur das Zusammenspiel schafft die Melodie. Nur die feine Abstimmung bringt Tiefe.
Meine Methode: Farb-Resonanz als Weg zur Identität
Tuning-in: Die Arbeit beginnt mit einer Farb-Resonanz zur aktuellen Standortbestimmung. Welche Farbe spricht jetzt zu mir, meiner Stimmung, meiner Situation? Dabei beobachten wir ohne Bewertung – ein bewusster, offener Einstieg.
1. Innere Reflexion
Hier wird die eigene Haltung, die unternehmerische Identität und Essenz gefühlt und formuliert. Wer bin ich? Was stehe ich? Was macht mich aus?
2. Erste Übersetzung
Aus den inneren Bildern und Worten entsteht eine erste farbliche Sprache: Welche Farbe und Nuance könnten meine Haltung und meine Werte beschreiben?
3. Eintauchen in die Farbräume
Jetzt geht es um das sinnliche Erleben: Farbräume werden mit allen Sinnen erforscht, Oberflächen berührt, Nuancen differenziert und feine Abstufungen erspürt.
4. Resonanzraum schaffen
Im Dialog mit den Farben entstehen Resonanzen – Emotionen, Erinnerungen, Gedanken, die weitere Erkenntnisse über Identität und Wirkung offenbaren.
5. Übersetzen und verdichten
Farben und Nuancen werden bewusst kombiniert und in einen stimmigen Ausdruck übersetzt, der die Unternehmens-DNA sichtbar macht.
6. Materialität als Verstärker
Die Wahl der Materialien wird zur Verstärkung des Farbklangs und damit der Gesamtwirkung. Jedes Material verändert die Farbwirkung subtil, prägt die sinnliche Erfahrung.
7. Erprobung im realen Kontext
Schließlich wird die Farbwelt in der Praxis getestet: Wie wirkt sie im Raum, auf Kommunikationsmitteln, im Gespräch? Passt sie zum gelebten Selbst?
Farbe ermöglicht einen ganz unüblichen, sinnlichen und zutiefst friedlichen Blick auf sich selbst
Vielleicht liegt darin der Schlüssel: Nicht zu fragen, welche Farbe man zeigt, sondern welche Farbe man hat.
Welche Farbe die Identität trägt, die längst da ist – und nun sichtbar werden darf. Denn genau dort beginnt ein Weg, der weit über Gestaltung hinausführt. Unternehmer:innen, die sich mit den feinen Tönen ihrer eigenen Identität auseinandersetzen, schaffen mehr als ein stimmiges Bild nach außen. Sie legen das Fundament für eine gesunde, nachhaltige und wahrhaftige Unternehmenszukunft. Farbe, Materialität, Tiefe – sie sind keine dekorativen Elemente. Sie sind Ausdruck einer Einzigartigkeit. Sie machen spürbar, wofür ein Unternehmen steht, wie es wirkt und wohin es will.
Deshalb wird dieser Dialog zwischen Farbe, Identität und Material auch Thema meiner Impulse beim KU Kongress des Kreativen Unternehmertums am 10. und 11. Juli 2025 sein. Weil ich davon überzeugt bin: Wer sich dieser sinnlichen, oft so unterschätzten Identitätsarbeit hingibt, hält den Schlüssel in die Hand seine Resilienzfähigkeit zu stärken und gleichzeitig seine Transformationsfähigkeit zu praktizieren – für ein Zeitalter von Unternehmertum, das nicht nur erfolgreich ist, sondern auch gesund, stimmig und zukunftsfähig und sowas von sinnlich.