Von weiter weg, sieht man mehr.

Wenn man nur ein paar Tage in den Urlaub fährt, liegt es nahe, sich von all den Nachrichten, Breaking News und ernsten Themen des Alltags für kurze Zeit zu verabschieden. Detoxen ist das fancy Wort dafür. Wenn man allerdings länger unterwegs ist, dann kommt schnell die Frage auf „Wie finde ich die richtige Balance zwischen Am-Weltgeschehen-teilnehmen, aber In-seiner-eigenen-Welt-reisen“?“

Es ist eine andere Balance als die, die ich zuhause habe. Mag es an der anderen Taktung liegen oder an einem anderen Land, aber Nachrichten aus Deutschland zeichnen sich mit Abstand betrachtet noch härter, dramatischer und reißerischer, als sie es ohnehin schon sind. Was mir dabei auffällt, ist die apokalyptische Stimmung, die durch viele kleine Nachrichten-Teilchen Form annimmt. Nun bin ich nicht die Erste, die das wahrnimmt, aber durch die Distanz wird es noch deutlicher.

Der gesunde Menschenverstand, unsere Erfahrung als Kultur-Wesen, das in der Lage ist zu reflektieren, müsste uns doch längst sagen, dass daraus nichts Fruchtbares, sondern eher Furchtbares entstehen kann. Wenn alles schlimm ist, wo sollen sich denn dann Energie und die Kreativität bündeln? Ideen, die uns als Gesellschaft einen Schub geben, um nach anfänglichen Ruckeln in den nächsten Gang zu kommen?

Denn ja, wir fahren schon. Und das nicht so schlecht. Aber anders, als wir uns einreden.

Zurück zum ganz Konkretem. Keine zehn Tage in Portugal, habe ich schon eine nette kleine Liste für was ich in Deutschland dankbar bin. Das Erstaunliche an diesen Dingen ist, dass sie im Kern für mehr Nachhaltigkeit sorgen, im Vergleich zu Portugal.

 
 

Da ist mein geliebtes Trinkwasser zuhause. Glas aus dem Schrank, Wasserhahn auf, fertig. Keine Plastikflaschen. Kein Ich-muss-zum-Supermarkt-fahren-weil-die-Wasserflaschen-so-schwer-sind. Ich höre schon die ersten Bedenkendenker, die sagen „Moment, das Wasser ist nicht immer gut“ - Im Vergleich zu was? Zu dem chlor-versetztem Wasser in anderen Ländern? Zu dem schmutzigen, nicht regelmäßig-kontrolliertem Wasser, dass uns erwartet, wenn wir über die Grenzen reisen? Unser Trinkwasser ist fantastisch und gehört gedankt. Denn dahinter steckt ein typisch deutscher Gedanke: Disziplin und Bestreben, einen Wert zu schaffen. Das ist nicht so schlecht. Was wäre also, wenn wir uns anschauen wie wir zu diesem Status gekommen sind und ihn auf andere Dinge übertragen? Im Kleinen? Im Großem?

Da sind die kaputten Straßen, die schon auch ihren Charme haben. Und mich manchmal an meine Kindheit erinnern. Aber sieht man den wirtschaftlichen Aspekt dahinter, dann verursachen diese Straßen deutlich mehr Verschleiß, mehr Unfälle (weil sich plötzlich Löcher auftun) und dadurch gibt es mehr zu reparieren. Machen wir es zuhause besser? Das weiß ich nicht, ich kenne die komplizierten Zusammenhänge des Straßenbaus nicht. Ich mag auch das Stilisieren des Autos nicht, denn daher kommt ja auch die hoch-angesetzte Pflege der Straßen. Auch hier höre ich wieder die Schimpfenden „Was? Bei uns ist so viel marode und müsste ausgebessert werden.“ – Ja, oder nochmal anders: Was wäre wir würden diese umsichtige Betreuung unserer Straßen auf die Züge und den öffentlichen Nahverkehr anwenden? Wenn wir Ebenmäßigkeit des Asphalts mit Barrierefreiheit in unseren Zügen verbinden würden? Oder dieser coole Asphalt, der selbst bei Regen nicht spritzt (aber dennoch den Boden so blöd versiegelt) – Was wäre, wir würden „Regen-sicher“ auf Bahnhöfe und Wartebereiche anwenden. Und kommt mir jetzt nicht mit „die blöde deutsche Bahn“ – Nein, wenn wir den Nahverkehr genauso innig lieben würden wie unser Auto, hätten wir es mit einer anderen Motivation zu tun. Und hier liegt der Kern. Die Frage ist also nicht „Wie können wir mehr Leute zum Nutzen der Öffentlichen bringen?“, sondern „Was müssen wir tun, damit wir die Öffentlichen inniger lieben als unser Auto?“

Zurück zur Dankbarkeit aus der Ferne.

Als Kind waren Zahnarzttermine für mich der blanke Horror. Heute sende ich beste Grüße an meine Zahnärztin zuhause (sie ist wirklich die Beste) und meinen Kieferorthopäden und seinem Team. Hier begegnen mir so viel Menschen mit Löchern (Nein, ich sehe keine Karieslöcher, sondern wirkliche Lücken), braunen Stummeln und kapputten, fauligen Zähnen.

Ja, ich weiß, das Sozial-System, das Gesundheitssystem-System… Ich kenne die Gespräche. Aber sie finden alle auf der Vernunft-Ebene statt. Die ist auch gut so, aber reicht nicht aus. Ich bin dankbar, dass ich Zähne habe, mit denen ich gesunde knackige Sachen essen kann. Wenn das nicht mehr ginge, blieben nur noch weiches Brot, Zuckerzeugs, das glibbert und verkochtes oder eingelegtes Obst und Gemüse. Ist alles nicht schlecht, aber reicht eben nicht um sich ausgewogen zu ernähren und für seine Gesundheit zu sorgen. Mir ist auch bewusst, dass diese Debatte riesig ist. Für den Moment möchte ich lediglich, dass wir uns unserer Stärke und unseren Privilegien bewusst werden und gut auf diese Dinge schauen. Einmal kurz, ohne Schimpfen, ohne Beschweren, ohne Meckern. Einfach mal dankbar sein.

Die deutsche Stimme in mir sagt mir, dass das ja nette Worte sind, aber hinter allem sollten Fakten stehen und man sollte sie immer auch kritisch hinterfragen. Und wo Studien dazu sind. Oder Beweise, die das stützen. Oder warum ich das einfach so sage, denn ich bin ja privilegiert. Stimmt. Stimmt alles. Aber für den Moment sind das meine Eindrücke auf meiner Reise durch ein wunderbares Land. Ein Land, das „quiet and friendly“ ist, wie Paula hier sagte. Ein Land, dem es auch nicht fantastisch geht, aber das fantastische Orte, Geschichten und Details zu bieten hat. Ein Land mit Ecken und Kanten, mit ganz viel Wind und Zisch-Lauten. Ein Land, dass es irgendwie geschafft hat, Schnörkel und Dekor zu behalten und Farben selbstverständlich zu tragen und mit ihnen zu leben. Davon können wir lernen. Von der Schönheit im Unperfekten. Von dem Schnörkel im Praktischen.

Portugal, Du bist so anders und trotzdem nicht fremd. Es wäre schön, wenn Du mit Deiner Sonne und Gelassenheit etwas näher an uns heranrutschen könntest. Wie großartig ist es, dass wir zusammen Europa sind und voneinander lernen können. Dass wir uns haben. Das sind doch gute Nachrichten, oder?

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Fuseta, Du ursprünglicher Ort

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Lissabon, Du wunderbare Stadt.